Die erste Zeit mit Hörgerät und Roger Richtmikrofon – Ein Erfahrungsbericht von Stephan W.
Wuppertal, 05.07.2025
Kurz zu meiner Person für alle, die mich nicht kennen:
Ich bin 56 Jahre alt und habe meine Diagnose 2012, also erst im späten Erwachsenenalter erhalten. 2024 kam noch die Diagnose ADHS hinzu, was mein eigenes Erleben bestätigte. Im „autismus Rhein Wupper e.V.“ bin ich seit etwa 2017 im Bereich Selbsthilfe und Peer Beratung für erwachsene Menschen im autistischen Spektrum aktiv.
Zudem habe ich seit meiner Lehrzeit eine partielle Taubheit. Mein Problem mit Hörgeräten war bisher, dass sie zwar immer besser meine fehlenden Frequenzen ausgleichen können, dabei aber leider auch die Geräusche verstärken, die ein normaler Mensch außerhalb der Neurodivergenz herausfiltert. Das führte dazu, dass ich trotz verbesserter Hörqualität meine Mitmenschen akustisch nicht verstanden habe.
Deshalb habe ich bei meinem letzten Termin beim Akustiker zum Testen neben einem „normalen“ Hörgerät zusätzlich ein Richtmikrofon bekommen.
Zum weiteren Verständnis im Text: Ich werde hier im Konjunktiv schreiben, weil ich das neue System noch nicht lange teste und weil gerade im ASS jeder anders empfindet und auf Hilfsmittel reagiert.
Der Unterschied ist enorm. Das Richtmikrofon, von meinem Anbieter Roger genannt, ist mit dem Hörgerät gekoppelt. Es reduziert alle Geräusche außerhalb der Aufnahmerichtung und verstärkt die Qualität der Sprache. Dieses Gerät ist zudem so weit intelligent, dass es zumindest grob die Richtung erkennt. So kann ich das Gerät bei einem Gruppengespräch einfach auf den Tisch legen, dadurch werden alle Geräusche außerhalb des Tisches unterdrückt und der jeweilige Sprecher verstärkt.
Klippe ich das Gerät ans Revers, dann fokussiert es sich auf meinen Gesprächspartner. Richte ich das Mikrofon in eine Richtung, so können angeblich (ich habe es noch nicht ausprobiert) schmalbandig Geräusche bis zu einer Entfernung von 25m empfangen werden.
Leider hat das Gerät noch Schwierigkeiten, wenn mehrere Personen im Gesprächsumkreis gleichzeitig reden. Dann wird auf Allgemeinmodus umgeschaltet und die Verständigung wird schwieriger.
Alles in allem ist das Gerät dennoch eine sehr starke Erleichterung für mich. Ich kann mich endlich mit meinem Gesprächspartner unterhalten, ohne von den Lippen ablesen zu müssen, um in Kombination mit dem Gehörten den Sinn einer Aussage zu verstehen. Eine enorme Verbesserung im Bereich der sozialen Interaktion, sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich.
Weiter ist die Unterdrückung von Störgeräuschen bei den neuen Geräten und insbesondere mit dem Zusatzgerät so verbessert, dass eine zu intensive Aufnahme von sensorischen Reizen vermindert wird, was wiederum Kräfte und Ressourcen schont und einen Overload vermeiden kann. In der Testphase habe ich zunächst nur einen klassischen Eingang, der die Störgeräusche nicht optimal filtert. Später werde ich einen auf mein Ohr angepassten Eingang bekommen. Dieser sollte Umgebungsgeräusche besser reduzieren.
Laut Akustiker gibt es außerdem ein System für Menschen ohne zusätzliche Hörbeeinträchtigung. Aufgrund meines Hörschadens konnte ich es logischerweise nicht testen. Es filtert lediglich die Störfelder und fokussiert sich auf eine Richtung. Wenn es genauso funktioniert wie bei meinem System, so sollte dies eine Erleichterung im Bereich der sensorischen Filterung sein.
Die Kapazität der Batterien liegt laut Hersteller beim Hörgerät bei etwa 8 Stunden, bei dem Richtmikrofon bei 6 Stunden. Meine Erfahrung ist, dass die Batterie bei ruhiger Umgebung sehr viel länger hält, aber in lauter und vor allen Dingen unruhiger Umgebung verringert sich die Kapazität sehr stark – beim Hörgerät auf bis zu 6 Stunden, beim Richtmikrofon auf 3 Stunden oder weniger.
Das Richtmikrofon kann am Gerät leicht ausgeschaltet werden, das Hörgerät läuft über eine App.
Das Hörgerät manuell auszuschalten fand ich durch die Tastenkombination sehr schwierig. Besonders Menschen mit haptischen und motorischen Einschränkungen dürften es hier schwer haben.
Auch die automatische Erkennung habe ich ausgeschaltet, da sich das Hörgerät immer wieder selbst einschaltet, was neben einer Verkürzung der Batteriedauer bei mir auch immer wieder zu Reizüberflutungen führte.
Ob die eingebaute KI zu Verbesserungen führt, kann ich nicht sagen. Dazu habe ich das Gerät noch nicht so lange genug (drei Wochen), zum anderen habe ich es wegen der Reizüberflutung auf manuell geschaltet.
Zu den Kosten:
Das Hörgerät würde für mich eine Zuzahlung von etwa 3.000,- €, das Richtmikrofon zusätzlich etwa 2.000,- € bedeuten, da die Krankenkassen nur die einfachsten Geräte übernehmen. Und diese verstärken nur leidlich die zu schwachen Frequenzen.
Im Gespräch mit der LVR (vielen Dank für das ausführliche Telefonat und die genommene Zeit) wurde mir die Vorgehensweise erklärt:
Die Krankenkassen sind verpflichtet, Kosten für Hilfsmittel zu übernehmen, die das berufliche und soziale Leben ermöglichen. Die sprachliche Verständigung gehört zum Bereich der sozialen Interaktion und ist ein wichtiges Kriterium gegen Ausgrenzung.
Überschlägige Kosten werden bei einer anerkannten Behinderung durch den LVR über die Krankenkassen übernommen. Dies ist im SGB über die Eingliederungshilfe (Buch und Paragraf muss ich noch heraussuchen) im Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben und am sozialen Leben geregelt.
Wie es in Deutschland üblich ist, werde ich wohl viele Anträge stellen müssen.
Was das angeht, ist der Staat gefragt, die Verfahren zu vereinfachen und sie nicht überzuregulieren. Auch das Problem der vielen Töpfe mit unterschiedlichen Zuständigkeiten muss gelöst oder zumindest reduziert werden. Viel zu oft musste ich eine Zuständigkeitsklage einreichen, was viel Zeit kostet und unsere Gerichte unnötig belastet. Dies aber nur als meine Meinung zum Schluss.